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Preise und Verfügbarkeit von Materialien sind in der Baubranche aktuell die größten Herausforderungen. Mit welchem Instrument man diesen begegnen kann, erläutert Dr. Henning Krüp, IT-Leiter der LIST-AG im Interview mit der CSS AG.

Herr Dr. Krüp, gleich zu Beginn: Was sind denn aktuell die akutesten Probleme in der Baubranche?

Das größte Problem sind momentan die Materialpreise. Das treibt die meisten um. Entweder die Preise sind explodiert oder die Waren sind gar nicht erst verfügbar – unter anderem im Bereich Dämmung und Beton.

Können Sie schätzen, um wie viel sich die Preise etwa gesteigert haben?

Je nach Warengruppe haben sich die Preise teilweise verdrei- oder vervierfacht. Der Bereich Stahl reduziert sich gerade wieder. Der Preis für Holz war zwischenzeitlich extrem hoch. Wenn man zwei bis drei Jahre zurückblickt, erkennt man, dass die Kalkulationen von damals heute nicht mehr passen. Das sind erhebliche Einflussfaktoren auf die Kostenstrukturen und natürlich auch auf die Wirtschaftlichkeit von Projekten. Hinzu kommt jetzt noch die Zinswende. Gerade im privaten Hausbaubereich ist das ein Problem. Das werden sich nicht alle leisten können. Eine Steigerung um zwei, drei Prozent sind netto 500 bis 900 Euro, je nach Größe des Projektes. Daher werden aktuell auch viele Projekte gestoppt.

Das gilt für Privatpersonen, die bauen wollen. Wie sieht es in der Industrie aus?

Zinsen sind hier noch nicht das vorrangige Problem. In der Industrie kann man mit den zwei, drei Prozent zwar schlecht leben, aber man kann immer noch wirtschaftlich bauen. Ein größeres Thema sind aber auch hier die Materialpreise. Die Kosten steigen deutlich. Außerdem sind Förderungen weggefallen, gerade im Bereich nachhaltiges Bauen. Somit werden auch viele Gebäude nicht mehr nach den heutigen Standards der Nachhaltigkeit gebaut, sondern tendenziell wieder wie vor ein einigen Jahren. Als nächstes kommt die neue Baurichtlinie, nach der künftig nach hohen Energiestandards gebaut werden muss. Das ist auch richtig und gut, aber da nicht mehr gefördert wird, sind die Kosten voll zu tragen.

Wie spüren Sie diese Probleme in Ihrem konkreten Alltag?

Bei uns sind Preise und Verfügbarkeiten von Materialien die kritischen Themen. Wird Material nicht geliefert, stehen Baustellen still. Explodieren die Preise, werden die Projektergebnisse schlechter. Man muss dann eben schauen, ob man irgendwo noch günstig einkaufen kann oder ob man mit den Bauherren eine Flexklausel vereinbart, die besagt, dass es einen Index gibt, an dem man sich orientiert und wenn dieser um 10 Punkte steigt, steigt auch der Projektpreis entsprechend. Und eben auch andersherum.

Welche Rolle spielt das Thema Digitalisierung dabei? Kann sie bei derlei Problemen helfen?

Zwar nicht bei Materialpreisen. Aber digitale Prozesse unterstützen bei der genaueren Planung von Projekten. Man kann effizienter planen und dafür sorgen, dass keine Ressourcen verschwendet werden. So hat man letztlich weniger Verschnittmengen, weniger Überschussmengen. Zudem kann ein gut aufgestellter Einkauf flexibler reagieren und auch in schwierigen Zeiten Material beschaffen.

Sie setzen also beim Kostenmanagement an?

Ja. Man muss Werte analysieren und sie bei der nächsten Kalkulation berücksichtigen. Das Kostenmanagement gilt es gut im Griff zu haben. Man muss sehen, welche Budgets heute nicht mehr zu den Preisen, die man früher einmal kalkuliert hat, passen. Ein genaues Budget-Kostencontrolling zu haben ist aktuell das Entscheidendste. Bei vergebenen Projekten ist das Kind schon in den Brunnen gefallen, da wird man nicht mehr viel retten können, aber man kann für die Zukunft lernen und schauen, dass man sein Kostenmanagement gut in den Griff bekommt.

Was würden Sie Unternehmen jetzt raten?

Die Digitalisierung kann uns helfen Projekte optimaler und effizienter zu planen, das auf jeden Fall. Das Kostenmanagement ist einer der wichtigsten Schritte, um frühzeitig zu sehen, wie Kalkulationen laufen, wie sie laufen müssen oder wo es Ausreißer in eine Richtung abzeichnen, die nicht gut sind. Es hilft, Fehler in der Zukunft zu vermeiden. Dadurch können frühzeitig Rückstellungen gebildet werden und man kann sich frühzeitig um Mittel von Banken bemühen, damit die Liquidität im Unternehmen am Laufen gehalten wird. Das ist entscheidend.

Was denken Sie, welche Auswirkungen es hat, wenn man die Weichen nicht richtig stellt?

Ich glaube, dass es für einige Firmen existenzbedrohend sein wird. Wer in der Vergangenheit nicht ausreichend Puffer aufgebaut hat und sein Kostenmanagement nicht im Griff gehabt hat, für den wird es früher oder später schwierig. Wenn man plötzlich für Material dreifache Preise zahlen muss, dann bekommt man das kaum kompensiert. Da kann man jetzt nur frühzeitig lernen und damit leben, dass man wahrscheinlich ein paar Projekte mit einer roten Zahl abschließt. Aber man kann zumindest für künftige Projekte lernen – ein Nachcontrolling machen. Gerade wenn man Flexklauseln vereinbart hat, muss man diese auch durchsetzen können. Das heißt, man muss transparent machen, woher veränderte Werte kommen. Und das funktioniert nur mit einem sehr guten Kostencontrolling.

Glauben Sie, dass es einige Firmen geben wird, die es nicht schaffen werden?

Absolut. Einige Firmen, die in der Vergangenheit zu knapp gewirtschaftet oder vielleicht noch früh am Markt sind, die werden es sehr schwer haben, das zu überstehen.

Blicken Sie denn in eine düstere Zukunft?

Ich glaube, dass in jeder Krise eine Chance steckt. Auch die Konsolidierung, die am Markt passiert, ist nicht immer schlecht. Das Handwerk wird immer gut dastehen, die werden genug zu tun haben. Derzeit vielleicht weniger im Bereich Neubau, aber dafür im Bereich Sanierung. Aber vielleicht nimmt dies auch etwas den Druck, der im Handwerkerbereich derzeit herrscht. Und eine sinkende Nachfrage im Bereich Einfamilienhäuser oder Mehrparteienhäuser führt natürlich auch dazu, dass der Materialstau sich ein bisschen löst. Wenn wir lernen, besser zu planen und weniger Ressourcen zu verschwenden, dann ist das aus Nachhaltigkeitsgründen ein sehr guter Schritt.

Wie würden Sie den Stand der Digitalisierung in der Baubranche einschätzen?

Die Baubranche hat in vielen Bereichen Nachholbedarf und ist in vielen Bereichen noch nicht so standardisiert. Das liegt sicherlich am Aufgabenbereich. Man hat im Bau immer Projektstrukturen. Es handelt sich nicht um einen durchgängigen Fertigungsprozess, wie das im Automotive-Bereich ist, sondern es ist immer ein individuelles Projekt mit individuellen Beteiligten, die auch zum Teil deutlich weniger digitalisiert sind. Manche brauchen dies für ihren Bereich aber vielleicht auch gar nicht. Der Bereich TGA zum Beispiel ist schon sehr gut digitalisiert. Es gibt aber viele Bereiche, in denen die Branche noch nicht gut aufgestellt ist. Es wird sich mit den nächsten Jahren vieles tun. Es kommt eine junge Generation, die das anders machen will. Die Branche hat einen sehr großen Nachholbedarf, ist aber durchaus auch in vielen Bereichen schon gut aufgestellt.

In welche Bereiche gilt es dann besonders zu investieren im Hinblick auf die Digitali­sierung?

Gerade interne Prozesse sind so ein Thema. Besonders in der Baubranche müssen Prozesse digital sein. Hier sind die Beteiligten oft an verschiedenen Orten. Hier kann es keine Papierprozesse geben. Ich sehe immer noch viele Menschen mit Stift und Papier und Rechnungen, die nur eine Kopie des Angebots sind. Da gibt es viel Potential. Auch die Themen dreidimensionale und BIM-Planung sind Aspekte, mit denen noch nicht so viele Unternehmen vertraut sind. Worum keiner herum kommt, ist das Thema Nachhaltigkeit. Das wird aber nicht ohne digitale Planung gehen. Insbesondere Ressourcenpässe, Ökobilanz und die EU Taxonomie werden sich anders nicht umsetzen lassen.